Sexualaufklärungsfilme

case study, EDU_COLL_018


Mit Hilfe moderner Medien – darunter klinische und populärwissenschaftliche Lehrfilme – schufen (meist männliche) Vertreter der Medizin, öffentlicher Bildungseinrichtungen und der Filmindustrie im Lauf des 20. Jahrhunderts visuelle Aufklärungsinstrumente zu sensiblen Themen wie Geschlechtskrankheiten, Fortpflanzung, Abtreibung, Sexualhygiene, Homosexualität und Prostitution. Dies entsprach der zunehmenden Kommerzialisierung der Sexualität und dem Umstand, dass Aufklärungsfilme als biopolitische Propagandamaßnahmen eingesetzt wurden um auf die sexuelle Gesundheit der Bevölkerung einzuwirken. Durch das Medium Film konnte Wissen über Sexualität niederschwellig und emotional vermittelt werden.

Dies ermöglichte es Filmemachern, Aufklärungsfilme als profitorientierte Waren zu produzieren, die von öffentlichen Gesundheitseinrichtungen mitfinanziert wurden und somit formell an der Prävention teilnahmen, was auch dazu beitrug, das Repertoire privater Filmemacher zu erweitern. Gleichzeitig ermöglichte es den auf sexuell übertragbare Krankheiten spezialisierten Gesundheitspädagog*innen und Mediziner*innen, für ihre Einrichtungen, ihre wissenschaftlichen Praktiken und Erkenntnisse zu werben und ein viel größeres Publikum zu erreichen als beispielsweise durch gedruckte Aufklärungsliteratur. Viele dieser Filme zu Public Health-Themen richteten sich an Jugendliche, Arbeiter*innen, Alleinstehende, Mütter und Kinobesucher*innen im Allgemeinen, um ihnen den Umgang mit Fragen der Sexualität im Alltags- und Familienleben zu erleichtern.

Als "medizinisch-visuelle Strategie" umgesetzt, lösten diese populären Kommunikationsformen eine breitere Debatte aus und führten zu einer größeren Akzeptanz gesellschaftlicher Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit der Sexualität, wodurch neue wissenschaftliche und populäre Ansätze möglich wurden, die das Konzept der Sexualität in der Moderne maßgeblich prägten. Die "Medikalisierung" des Diskurses über Sexualität und Film war ein Versuch, sowohl dem Sensationsthema "Sex" als auch dem neuen Medium Film wissenschaftliche Legitimität zu verleihen. Kinobesucher*innen, die Zielgruppen, und ihre Gesundheit wurde als Humankapital betrachtet, eine Investition an sich, da die Behandlung kranker Menschen in Krankenhäusern oder anderen Pflegeeinrichtungen und die Ausbreitung epidemischer Krankheiten für den Staat vor allem seit Ende des Ersten Weltkrieges und das vorherschende Elend der Bevölkerung auch für die nächste Generation bedrohend war. Daher wurden Gesundheitsfilme oft günstig oder sogar kostenlos für Risikopersonen angeboten, in Fabrikhallen und auf Ausstellungen vorgeführt.

In der vorliegenden Fallstudie werden neben der Biografie von Leopold Niernberger – einer zentralen Figur in der Herstellung von Sexualaufklärungsfilmen in der jungen Ersten Republik der 1920er Jahre – zwei internationale Filmbeispiele aus der Sammlung des Österreichischen Filmmuseums vorgestellt. "The Physiology of Normal Menstruation", ein animierter Erklärfilm im Auftrag des Pharmaunternehmens Schering von 1948, und ein danach entstandener Schweizer Sport-Unterrichtsfilm zu "Schwangerschaftsgymnastik" (samt Beiheft) deuten das weite Spektrum der Funktionen und Interessen an, die an Film als Lehrmittel in Sachen Sexualität und Reproduktion im 20. Jahrhundert herangetragen wurden.

(Text und Fallstudie: Katrin Pilz)

BILD: Erklärbild aus dem Film "The Physiology of Normal Menstruation" (1948)

WEITERFÜHRENDE LITERATUR:
Katrin Pilz, "Viennese Sex Education Films of the 1920s: Debates on Sexual Health, Popularizing Conventions and Representability of Healthy and Sick Bodies", in: Mario Keller, Johann Kirchknopf, Oliver Kühschelm, Karin Moser, Stefan Ossmann (Hg.): Sexuality and Consumption (= Werbung – Konsum – Geschichte / Advertising – Consumption – History), Berlin/Boston: De Gruyter Oldenbourg 2022, S. 149–182.
LINK: https://doi.org/10.1515/9783110747676

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