Anatomie – Animation – Audiovision: Medizinische Lehrfilme und die staatlichen Wissenschaftsfilm-Institute 1945 bis 1970

Fallstudie, EDU_COLL_016


Die Verwendung von Film für die Forschung und Lehre in der Medizin hat eine lange Tradition. Bereits kurz vor der Jahrhundertwende verwendeten vor allem technikaffine und -interessierte Chirurgen und Neurologen aus aller Welt das neue Medium, um Operationen und Bewegungsstörungen neurologischer Patient*innen im "Bewegtbild" sichtbar zu machen. Die Geschichte der Wiener anatomischen Präparationsfilme der Zweiten Republik ist eng verbunden mit der Produktion anatomischer Lehrfilme in der Zwischenkriegszeit und einschlägigen Persönlichkeiten der NS-Zeit wie Eduard Pernkopf (1888–1955). Kontinuitäten und Brüche entlang institutioneller medizinwissenschaftlicher Filmproduktionen und -zirkulation zeigen die Filme des Anatomen Werner Platzer (1929–2017), die noch heute in der anatomischen Lehre genutzt werden.

Die Produktion anatomischer Präparationsfilme war in westlichen medizinischen Ländern (in frühen europäischen und nordamerikanischen Filmsammlungen) in diesem Kontext ein überraschendes und rares Phänomen, aus ethischen und wissenschaftlichen Gründen wurde nicht nur die filmische Darstellung von Leichen bzw. der Leichenöffnung vielerorts nicht geduldet. Die Anatomie der "Wiener Medizinischen Schule" hob sich in dieser Hinsicht ab. Herz- und Hirnpräparation waren in der medizinischen Forschung und Lehre traditionell besonders beliebt, nicht zuletzt, weil diese visuell sehr eindrucksvoll waren und auch Laien und noch unerfahrenen Student*innen ein gutes Bild über Funktion und Struktur der zentralen Organe vermittelten. Dies wird auch anhand des vielfältigen Interesses wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Öffentlichkeiten erkennbar, in denen diese Art von Filmen seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zirkulierte. Der erste dokumentierte Wiener medizinische Lehr- und Forschungsfilm wurde am Physiologischen Institut von den experimentellen Pathologen Salomon Stricker (1834–1898) und Ludwig Braun (1867–1936) 1896 gedreht und zeigt die Herzbewegungen bei einer Vivisektion eines Hundes. Einer der ersten nach dem Zweiten Weltkrieg von der Staatlichen Hauptstelle für Lichtbild und Bildungsfilm (SHB) und ihrem Leiter Adolf Hübl (1895–1966) produzierten wissenschaftlichen Filme war der 1950 am Pharmakologischen Institut der Universität Wien aufgenommene Film "Das Starlingsche Herz- und Lungenpräparat nach der Modifikation von Starling und Vissher" (A 1950), der ebenso eine Operation an Herz und Lunge eines Hundes zeigt. Die wissenschaftliche Leitung übernahmen der Kardiologe Fritz Kaindl (1922–2015) und der Pharmakologe Franz von Brücke (1908–1970).

Einer der erfolgreichsten Filme in Platzers Produktionsserie war "Präparation des Gehirnes von oben" (1964). Der Vorspann zeigt, wie in den Vorschriften der SHB festgelegt, einen Kader mit dem Logo "SHB Film Wien" sowie das in Rot hinterlegte und mit Sezierinstrumenten gestaltete Logo "Anatomie Wien. Vorstand: Univ. Prof. Dr. Dr. H. Hayek". Die Kameramänner waren Dankward G. Burkert, der die 1962 gegründete Abteilung Wissenschaftlicher Film der SHB leitete, und Elinor Pavlousek, der dort als wissenschaftlicher Kameramann angestellt war. Den Trick, also Animationen, Zeichnungen und Schnittmodelle, fertigte wie in allen frühen Sezierfilmen Platzers Ludwig Schrott, Sprecher war Hans Lazarowitsch, der vor allem aus der Nachrichtensendung Zeit im Bild im Österreichischen Rundfunk (ORF) bekannt war.

(Text und Fallstudie: Katrin Pilz)

BILD: Arbeit am Modell im Film "Die Präparation des Mittel- und Innenohrs" (1965)

WEITERFÜHRENDE LITERATUR:
Katrin Pilz, "Anatomie – Animation – Audiovision: Medizinische Lehrfilme und die staatlichen Wissenschaftsfilminstitute 1945–1970", in: Wolfgang Schütz, Felicitas Seebacher, Hans-Georg Hofer, Brigit Nemec (Hg.): Medizin in Wien nach 1945. Strukturen, Aushandlungsprozesse, Reflexionen, Wien: Vienna University Press/V & R unipress 2022, S. 213–235.
LINK: https://doi.org/10.14220/9783737013932.213

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